Am Anfang stand eine kurze, nur gut hundertseitige Schrift aus dem Zeitalter der Renaissance. Mit seiner Erzählung von der entlegenen Insel Utopia (1516) kreierte Thomas Morus nicht nur ein neues Wort, sondern bereicherte auch zahlreiche Sprachen dieser Welt um die Vokabel.
Aus dem Eigennamen für den Schauplatz von Morus’ Fiktion wurde bald die Bezeichnung für ein literarisches Genre, später ein allgemeiner Begriff, letztlich ein vieldeutiges Schlagwort.
Utopien sind in ihrer klassischen Ausprägung fast allesamt Gedankenexperimente, die in erster Linie der zeitgenössischen Gesellschaft den Spiegel vorhalten. Utopische Kunst führt die Rezipient*innen in alternative Welten und verfolgt damit das Anliegen, diese mit geschärften Blick in die Realität zurückkehren zu lassen. Sie erschöpft sich nicht im Porträt einer imaginären Welt, mindest ebenso bedeutsam erscheint die Diagnose der Gegenwart, die Auseinandersetzung mit den sozialen und politischen Verhältnissen der Zeit.
Dabei geht es weniger darum die geschilderte Fiktion in die Wirklichkeit zu überführen, sondern durch die Betrachtungen utopischer Welten die Defizite der Herkunftsgesellschaft umso deutlicher erkennbar zu machen. Die Aufgabe des Nachdenkens und der Bewertung wird dem Publikum übertragen und in dieser Weise ist der Aufruf zur eigenen Urteilsbildung erkennbar. Utopien sind, so gesehen, Herausforderung des Denkens und Provokation der Gegenwart.
Sie wecken Bewusstsein, fordern Antworten und suchen Lösungen.
Mit dem Konzertzyklus „Utopien“ 2022 führt das Ensemble „Musica getutscht“ sein Publikum in imaginäre Welten der Renaissance und des Frühbarock.
Die Reise führt über die Insel „Utopia“ nach „Arkadien“, über die „Stadt der Frauen“ in „verkehrte Welten“.
Mechthild Karkow // Violine
Claudius Kamp // Blockflöte
Sebastian Flaig // Perkussion
Julio Caballero Pérez // Cembalo
Bernhard Reichel // Chitarrone
Cornelia Fahrion // Sopran
Erika Tandiono // Sopran
Alexander von Heißen // Cembalo
Bernhard Reichel // Chitarrone
Emma Kirkby // Sopran
Christian Volkmann // Tenor
Nina Böhlke // Alt
Sönke Tams Freier // Bass
Julius Lorscheider // Virginal
Bernhard Reichel // Laute
Magdalena Podkoscielna // Sopran
Erika Tandiono // Sopran
Oscar Verhaar // Alt
Mirko Ludwig // Tenor
Dominik Wörner // Bass
Julius Lorscheider // Cembalo
Bernhard Reichel // Chitarrone
Musik von u.a. Verdelot, Arcadelt, Tromboncino und Frescobaldi nach Texten von Petrarca, Michelangelo, Pietro Bembo und Machiavelli
Anne Richter // Sopran
Bernhard Reichel // Laute
Julius Lorscheider // Cembalo
Caravaggio & Monteverdi 2021: Das Erwachen der Emotion
2021 jährt sich zum 450. Mal der Geburtstag eines der berüchtigtsten Maler der Kunstgeschichte: Michelangelo Merisi da Caravaggio. Er prügelte und trank, war wegen Todschlags auf jahrelanger Flucht und ließ Sexarbeiter*innen für die Heiligenfiguren seiner Gemälde Modell stehen.
Dieser faszinierende Künstler brachte einige revolutionären Neuerungen in die Malerei ein, die genau mit der radikalen Wende zusammenfielen, die sich zur gleichen Zeit in der Musikwelt vollzog: Während Caravaggio mit seiner realistisch-dramatischen Helldunkel-Malerei zur Geburt des Barocken in der bildenden Kunst beitrug, krempelte Claudio Monteverdi die Musikwelt um...
„...dass man mit den Weinenden weine und den Lachenden lache!“ - Horaz
Um 1600 rückte das Interesse an der Darstellung und Übertragung der Affekte so stark in den Vordergrund von Kunsttheorie und künstlerischer Praxis, dass man von einem veritablen „Zeitalter der Affekte“ sprechen kann: Das Publikum wollte Gefühl sehen und hören! Und die Künstler natürlich ebenfalls.
Was Autoren des Altertums vor allem in der Dichtkunst gefordert hatten – dass sie nicht nur belehren (docere) und erfreuen (delectare), sondern auch emotional bewegen (movere) möge – , wurde mit Caravaggio und Monteverdi auch charakteristisch für die barocke Malerei und Musik. Beide entwickelten neuartige Kunstkniffe, die es überhaupt erst ermöglichten, die Darstellung des Seelenlebens auszuloten, Grenzen des Visionären und Ekstatischen zu tangieren und die psychischen Aspekte des Lebens komplexer und nuancierter in Bild und Klang umzusetzen, als das je zuvor versucht worden war.
Der Konzertzyklus von „Musica getutscht“ in Bremen und Oldenburg soll nun auch dem heutigen Publikum einen Eindruck davon vermitteln, wie diese beiden revolutionären Künstler zeitgleich die künstlerische Nachwelt prägten. Dafür stellen wir in unserer Konzertreihe Kompositionen Monteverdis und seiner Zeitgenossen jeweils Bilder von Caravaggio gegenüber, so dass erkennbar wird, wie ähnlich diese Emotionalisierung in Musik und bildender Kunst seinerzeit vor sich ging.
Die Passion Christi aus der Perspektive der Jungfrau Maria und Maria Magdalena
Werke von Claudio Monteverdi und Zeitgenossen
Pia Davila // Sopran
Bernhard Reichel // Chitarrone
Julius Lorscheider // Cembalo
„Caravaggios Narziss und die Vanitas“
Marie Luise Werneburg // Sopran Anna Kellnhofer // Sopran
Bernhard Reichel // Chitarrone Julius Lorscheider // Cembalo
„La capella di Monteverdi“
Biagio Marinis „Affetti musicali“ 1617 & Dario Castellos „Sonate concertate“ 1621 & 1629
Mirjam - Luise Münzel // Blockflöte und Violoncello
Claudius Kamp // Dulzian und Blockflöte
Bernhard Reichel // Chitarrone
Julius Lorscheider // Cembalo
„Amor vincit omnia!“
Monteverdis „Madrigali guerrieri et amorosi“
Mirko Ludwig // Tenor
Christian Volkmann // Tenor Bernhard Reichel // Chitarrone
Julius Lorscheider // Cembalo